Garagengold

Truck Life

Erst restauriert, dann vergessen: MAN 735 L 1 K

Zentral in der Frankfurter Altstadt gelegen wartete ein MAN Oldtimer-Schatz auf die Mitarbeiter der ‚Veteranenhalle‘ in Selters. Ein seltener MAN-Eckhauber aus den 50er Jahren, der selbst dem Oldtimer-Experten Timo Pistorius bis zum Zeitpunkt der Entdeckung noch vollkommen unbekannt war. Lest hier die spannende Geschichte über ein besonderes Fundstück, die Autor Florian Dasenbrock für die Zeitschrift ‚Historischer Kraftverkehr‘ verfasst hat.

Es schien ein ganz normaler Arbeitstag in der ‚Veteranenhalle‘ in Selters zu werden. Zum Auftakt, wie immer, eine kurze Besprechung im Büro, was für den gerade begonnenen Dienstag so alles ansteht. Doch das Telefon setzte dem entspannten Briefing mit der obligatorischen Tasse Kaffee in der Hand ein jähes Ende. Am anderen Ende der Leitung eine junge Frau, die einen alten Lastwagen zum Kauf anbot. Im Prinzip nicht ungewöhnlich, da die Veteranenhalle seit vielen Jahren Handel mit Oldtimer-Nutzfahrzeugen treibt. Doch bei dieser Offerte konnte es sich eigentlich nur um einen Scherz oder um ein großes Missverständnis handeln…

Ein restaurierter MAN-Haubenkipper des Typ 735 L1 K stünde mitten in Frankfurt, würde den Umbau eines Wohnhauses behindern und solle deshalb verkauft werden, so die Anruferin. Nach der Bitte um aussagekräftiges Bildmaterial verbrachten Veteranenhalle-Inhaber Timo Pistorius und ich die Wartezeit bis zum Eintreffen der erhellenden e-Mail mit Mutmaßungen: Was genau bot man uns da an? War es wirklich ein seltener MAN-Eckhauber der 1950er Jahre, oder hatte sich die Verkäuferin mit der Typenbezeichnung vertan und sprach ‚nur‘ von einer deutlich jüngeren Pausbacke? Zum Glück ließ die Nachricht nicht allzu lange auf sich warten – und versetzte Timo und mich in helle Aufregung: Auf den Bildern war ganz klar ein restaurierter MAN der älteren Bauart zu erkennen, der offenbar seit vielen Jahren in einer engen Garage seinem weiteren Schicksal entgegen dämmerte! Dieses Auto war uns völlig unbekannt, obwohl wir beide schon seit Jahren in der Alt-Lkw-Szene unterwegs sind und mir eine besonders hohe Affinität zur Marke nachgesagt wird! Noch am selben Tag machten wir einen Termin mit der Verkäuferin aus und uns auf nach Frankfurt.

An der angegebenen Adresse vermutete man vieles, nur keinen Lkw-Oldtimer! Zentral in Frankfurts Altstadt gelegen, stießen wir dort auf ein altes Backsteingebäude, dessen Fassade noch mit Leuchtreklame und einer großen analogen Uhr an die Brennstoffhandlung ‚Kohlen-Meuer‘ erinnerte. Ein Tor oder eine große Hofeinfahrt, hinter der man einen Lkw größeren Ausmaßes hätte vermuten können, fehlte allerdings komplett. Kurz darauf trat die Verkäuferin auf den Plan, die sich uns als Mitarbeiterin der Hausverwaltung des betreffenden Gebäudes vorstellte. Sie erzählte uns, dass die Brennstoffhandlung über lange Jahre ihren Hauptsitz in diesem Haus gehabt habe. Das Unternehmen war zu Beginn des letzten Jahrhunderts gegründet worden und hatte sich im Rhein/Main-Gebiet zu respektabler Größe entwickelt. Auf Bildern aus den 1970er Jahren konnte man bis zu sieben Tanklastzüge mit Meuer-Logo erkennen.

Der angebotene MAN 735 L1 K war das erste größere Kohlentransportfahrzeug des aufstrebenden Unternehmens gewesen. Der makellos erhaltene Pappbrief des Kippers datiert dessen erste Zulassung auf den 7. Februar 1957 und gibt gleichzeitig Auskunft darüber, dass der MAN sich über all die Jahre in Firmenbesitz befunden hat – ein Ersthand-Fahrzeug also!
Zu Beginn der 1990er Jahre war der Hauber dann im Auftrag seines Besitzers von einer MAN-Niederlassung im Rhein/Main-Gebiet restauriert und fortan als Traditionsfahrzeug genutzt worden. Nach dem Tod des Seniorchefs der Firma Meuer geriet der MAN aber regelrecht in Vergessenheit und fristete sein Dasein in einem engen alten Kohlenschuppen auf dem Hinterhof des Frankfurter Hauptsitzes der Firma.
Dieser Hinterhof schrumpfte in den Folgejahren immer weiter zusammen: Erst wurden die ehemaligen Lkw-Stellplätze mit mehrgeschossigen Wohnhäusern bebaut, dann riss man nach und nach bis auf die Remise des MAN alle übrigen Gebäude und Schuppen ab, um Parkraum für die Anwohner zu schaffen. Außer der Werbung an der Fassade des Hauses erinnerte irgendwann schließlich nichts mehr an den einst respektablen Brennstoffhandel.

Nachdem wir nun die Vorgeschichte kannten, war unsere Neugier auf den Hauptdarsteller ins schier Unermessliche gewachsen. Die freundliche Verkäuferin geleitete uns einmal um den neu erbauten Häuserblock herum von der Rückseite aus auf das ehemalige Betriebsgelände.
Der kleine und unscheinbare Schuppen, in dem wohl niemand einen Eckhauber-MAN vermutet hätte, war in den letzten Jahren vom Hausmeister des Komplexes als Werkstatt und Abstellkammer genutzt worden.

Ja – und mitten zwischen Werkbank, Rasenmäher und Laubsauger stand er dann tatsächlich vor uns: Der MAN 735 L1 K mit dem wunderschönen Kohlenkippaufbau von Meiller, der 1957 neu zur Firma Meuer gekommen war und der seinen Abstellplatz seit der Restaurierung vor fast 30 Jahren kaum noch verlassen hat. Rasch konnten wir uns mit der Verkäuferin darüber verständigen, dass dieser MAN seine neue Heimat künftig im Westerwald haben würde – die Bergung konnte geplant werden.
Schon wenige Tage später starteten wir mit Tieflader und Werkstattwagen in Richtung Frankfurt. Die Anwohner waren von der Hausverwaltung bereits im Vorfeld darum gebeten worden, an diesem Tag nicht im Innenhof zu parken.
Nach einem Satz frischer Batterien, einem Filtercheck und einem Blick in die Einspritzpumpe ging der Daumen nach oben. Dank des guten alten Dieselkraftstoffs im Tank des Kippers, der weder mit Biodiesel noch mit Wasser gepanscht war, präsentierte sich das Pumpeninnere gängig wie im Neuzustand! Also los: Startknopf drücken und wrrruuum! Als wäre er erst drei Tage zuvor abgestellt worden, lief der Reihen- Sechszylinder mit der Bezeichnung D 1246 M3 schon nach kurzer Zeit rund und weich. Dass er dabei den Innenhof nach Kräften vollqualmte, ist dem Verbrennungsablauf der M-Motoren geschuldet. Drum merke: Wer deren weichen Motorlauf liebt, darf sich über Rauchgas-Wölkchen nicht aufregen… .

Einblick in die Veteranenhalle

Nach ein paar schweißtreibenden Rangiermanövern und einer kurzen Etappe rund um den Block stand der grün-rote Kipper dann auch schon auf dem Tieflader in Richtung Westerwald. Nachdem alles verzurrt war, wartete die Verkäuferin noch mit einer netten Geste auf uns. Sie übergab uns einige alte Schilder der Firma und eine Handvoll gerahmter s/w-Bilder, unter denen sich auch Einsatzfotos unseres Neuzugangs befanden. Ein weiteres Highlight fand sich noch im ehemaligen Büro des Unternehmens: eine hölzerne Mustervitrine, in der neben Eierkohlen und Briketts auch alle übrigen damals verfügbaren Kohlearten hinter Glas betrachtet werden konnten – anschließend schloss der Kunde dann seinen Kohlenkauf ab und bekam sein schwarzes Gold mit unserem MAN frei Haus geliefert! Weil all das für einen einzigen Tag schon zu viel Glück war, ereilte uns das Schicksal nach der Rückkehr zur Veteranenhalle doch noch: Der Motor des MAN verlor Kühlwasser! Leider waren dafür nicht nur ein durchgerostetes Wasserrohr, sondern fast vollständig zugerostete Wasserkanäle im gesamten Motorblock verantwortlich. Offenbar hatte man nach der Restaurierung keinen Frostschutz aufgefüllt, so dass sämtliche Wasserkanäle des Blocks stark zersetzt waren. Glücklicherweise schlummerte im Fundus der Veteranenhalle noch ein neuwertiger Tauschmotor, der inzwischen seinen Platz unter der eckigen Haube des 735 L1 K eingenommen hat. Neben einer weiteren großen Durchsicht und einem Satz neuer Pneus stand der Fotofahrt für diesen Bericht jetzt nichts mehr im Weg.

Wir freuen uns sehr über den neuen MAN und sind dankbar dafür, dass dieses schöne Stück Zeitgeschichte mit all seinen Bildern, Dokumenten und Devotionalien nun bei uns in der Veteranenhalle für die Nachwelt erhalten bleibt.

Autor: Florian Dasenbrock
Fotos: aktuelle Bilder Florian Dasenbrock
Alte Fotos: Archiv Kohlen Meuer, Frankfurt

Aus der Zeitschrift «Historischer Kraftverkehr» Ausgabe 04/2022 aus dem Verlag Klaus Rabe