Geht nicht? Gibt’s nicht!

Holger lebt den Traum vom Lkw-Fahren – trotz Handicap

Von seiner Querschnittslähmung hat sich Holger Schönenberg nie aufhalten lassen. Der ehemalige Profi-Segler und Verkehrspilot ist jetzt Lkw-Fahrer. Ein Traum geht – über Hürden und Hindernisse hinweg – in Erfüllung.

Der 48-Jährige ist mit einem MAN TGX 18.480 unterwegs für Sievert Logistik in Lengerich in Nordrhein-Westfalen. „Don Holgo“ lautet sein Name auf einem Kennzeichen hinter der Windschutzscheibe. Außen am Fahrerhaus sind sein Konterfei und der Spruch „trucker_on_wheels“ lackiert, eine Anspielung auf die Räder von Holgers Rollstuhl. So heißt auch sein Instagram-Kanal, auf dem er Fotos von seinen Erlebnissen als einer der wenigen Berufskraftfahrer mit Behinderung postet. Die ersten Transporte zu Kunden aus der Baubranche hat er bereits erfolgreich gemeistert und erzählt:

Viele Leute staunen, wenn sie erst den großen Lkw und dann mich im Rollstuhl sehen.

Damit Holger den Berufsalltag als Lkw-Fahrer mit Handicap bewältigen kann, hat Sievert Logistik den MAN TGX bei Marcell Greshake, einem Spezialisten für den Umbau behindertengerechter Fahrzeuge in Münster, modifizieren lassen. Den Rollstuhl kann Holger in einer verschließbaren Kiste auf der rechten Fahrzeugseite verstauen. Ebenfalls auf der rechten Seite des Fahrerhauses erreicht er über zusätzliche Trittstufen, Bügel und Haltegriffe die Kabine. Einen kleinen elektrischen Lift gibt es für ihn hier auch. „Wenn ich häufig ein- und ausstiegen muss, wird das sonst zu anstrengend, trotz meiner gut trainierten Arme.“

Der Fahrerarbeitsplatz ist mit einer Handsteuerung für Gas und Bremse ausgerüstet. Ansonsten ist die Ausstattung in der Kabine unverändert. Und das mit Absicht. Denn Holger teilt sich den MAN TGX mit einer Kollegin, die kein Handicap hat. Auch für ihre Bedürfnisse muss das Fahrzeug passen.

Segler, Pilot, Start-up-Gründer, Lkw-Fahrer

Mit der inkompletten Querschnittslähmung hat Holger seit langem leben gelernt. Sie ist die Folge einer Operation am Rücken, als er 14 Jahre alt war. Holger kann sich hinstellen und die Beine strecken, aber nicht frei laufen. Doch davon hat sich der Münsteraner nie aufhalten lassen – auch nicht bei der Arbeit. Er hat schon eine bewegte Berufslaufbahn hinter sich, im wahrsten Sinne des Wortes.

Er war Profisegler bei den Paralympics, hat als Verkehrspilot Passagierflugzeuge geflogen und ein Gewürz-Start-up gegründet, das in der Fernsehsendung „Die Höhle des Löwen“ vorgestellt wurde. Jetzt arbeitet er in einer Luftfahrt-Behörde, will aber zusätzlich einen zweiten Job mit mehr körperlicher Aktivität. „Ich hatte schon immer ein Faible für große Geräte. Und dafür, Dinge von A nach B zu bewegen“, begründet Holger seinen Wunsch, Lkw-Fahrer zu werden.

Um den Traum wahr zu machen, hat er einen MAN-Mitarbeiter aus Osnabrück darauf angesprochen, der den Kontakt zu Sievert Logistik herstellte. Das Transportunternehmen war Feuer und Flamme für die Idee, Holger als Fahrer zu beschäftigen. „Das Team von Sievert Logistik glaubt an mich“, sagt „Don Holgo“ begeistert. Gemeinsam setzen Holger und das Lengericher Unternehmen damit auch ein Zeichen: Menschen mit Handicap können in viel mehr Jobs arbeiten, als mancher vielleicht glaubt – wenn sie die passende Unterstützung erhalten.

Für jedes Problem gibt es auch eine Lösung

Viele Hindernisse haben Holger und sein neuer Arbeitgeber schon erfolgreich aus dem Weg geräumt. Die MAN-Sattelzugmaschine wurde behindertengerecht umgebaut. Holger hat den Lkw-Führerschein gemacht und Gutachten eingeholt, die nachweisen, dass er trotz Handicap für den Job geeignet ist. Sievert hat für Holger eine besondere Routenplanung gemacht, damit er Transporte mit einem bereits beladenen Planenauflieger fahren kann. „Bei der Ladungssicherung stoße ich an meine körperlichen Grenzen, deswegen haben wir für den Anfang diese Lösung gewählt“, erklärt der Lkw-Fahrer.

Welche Aufgaben Holger mit seinem MAN TGX stemmen kann – und wo es für ihn als Rollstuhlfahrer Grenzen gibt: Das will Holger mit seinen Kolleginnen und Kollegen von Sievert Logistik in den nächsten Monaten testen. Geplant ist, dass er in Zukunft, nicht nur mit dem Planenauflieger fährt, sondern auch Containertransporte übernimmt. „Bisher haben wir als Team gemeinsam für alle Probleme eine Lösung gefunden“, sagt Holger zuversichtlich. „Geht nicht, gibt’s nicht!“